Sich zu trennen ist niemals leicht.
2022, das Jahr des großen Entlassens in Unternehmen? Tatsächlich wurden bis Mitte November dieses Jahres schon mehr als 73.000 Beschäftigte in der US-Tech-Branche entlassen, unter anderem haben auch Amazon, Meta und Twitter in den letzten Wochen ihren Personalbestand drastisch reduziert.
Und die Zahl derer, die sich selbst für einen Arbeitsplatzwechsel entscheiden, ist sogar noch größer: Fast 48 Millionen Menschen in den USA haben in diesem Jahr ihrem Arbeitgeber gekündigt – ein neuer Höchststand! Prognosen gehen davon aus, dass bis Ende dieses Jahres insgesamt 20% aller Erwerbstätigen ihren Arbeitsplatz aufgegeben haben werden.
Es handelt sich also nicht um eine still und heimliche Kündigung, sondern vielmehr um eine lautstark brechende Kündigungswelle.
Die Fluktuationstendenz innerhalb des HR-Bereichs
Ironischerweise trennen sich auch die Wege von HR-SpezialistInnen und einem Unternehmen in rekordverdächtiger Zahl. Eine besorgniserregende Statistik auf LinkedIn zeigt, dass die Personalabteilung auf globaler Ebene sogar die höchste Fluktuationsrate aller Berufsgruppen aufweist: 15% aller HR-ExpertInnen weltweit kündigten im Zeitraum von Juni 2021 bis Juni 2022 ihren Job.
Bei einer durchschnittlichen Fluktuationsrate von 11% in anderen Fachbereichen bedeutet dies, dass die Fluktuationsrate in der Personalabteilung bei über 35% liegt.
Doch wieso ist diese Zahl so hoch? Personalverantwortliche sehen von innen, wie das Unternehmen seine Mitarbeitenden behandelt, und können daher toxische Personen im Unternehmen besser erkennen – und schneller darauf reagieren.
Darüber hinaus geht ein Burnout eines Personalverantwortlichen in vielerlei Hinsicht mit der Jobwahl einher: durch all den Stress aufgrund der Umstellung zu Remote-Working, durch den täglichen Umgang mit negativem Feedback der Belegschaft oder dem hohen Ausmaß an Offboarding-Situationen. AllVoices zeigt, dass 53 % der HR-Fachleute völlig ausgelaugt sind und 48% von ihnen bereits nach einer neuen Stelle suchen.
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Offboarding im HR-Lebenszyklus
Ganz gleich, ob ein Arbeitnehmender das Unternehmen von sich aus verlässt oder entlassen wird, Offboarding ist ein weiteres Ereignis im Lebenszyklus eines Unternehmens, für das die HR-Abteilung zuständig ist.
Eine Freundin, nennen wir sie Anna, ist People & Culture Managerin in einem mittelgroßen internationalen Unternehmen. Allein in diesem Jahr musste sie 109 Angestellte offboarden – eine Mischung aus Kündigungen und Entlassungen. Denn am Ende landet jeder Ausstieg aus einem Unternehmen auf dem Schreibtisch der immer freundlichen HR-Managerin, die die Nachricht überbringen muss oder den Ausstieg arrangiert.
„Es ist natürlich sehr schwer, jemandem mitzuteilen, dass er seinen Arbeitsplatz verliert, aber es ist auch nicht gerade leichter, jemanden kündigen zu lassen, vor allem wenn die Person im Unternehmen sehr geschätzt wird oder aber sehr unzufrieden ist“, gestand sie mir.
HR: ein Spagat zwischen Therapie und Diplomatie?
Anna löst die Frage wortgewandt: „Offboarding ist ebenso wichtig wie Onboarding, und von der Personalabteilung erfordert es ein sensibles Gleichgewicht aus Bescheidenheit, Diplomatie, Einfühlungsvermögen und Zuhörfähigkeit – allesamt sorgfältig auf den jeweiligen Fall und individuellen Mitarbeitenden angepasst. Es ist hilfreich, vor dem Offboarding einer angestellten Person etwas Coaching in Anspruch zu nehmen, doch niemand kann Ihnen eine Anleitung geben, wie Sie mit den verbleibenden Schuldgefühlen oder der Frage umgehen können, ob Sie etwas hätten tun können, um eine Kündigung zu verhindern.“
Hier verrät Anna einige Tipps für Personalleitende, die den (manchmal holprigen) Entlassungsprozess mit Bravour meistern wollen – auf der Sonnenseite, der Schattenseite sowie der Gewitterseite des Offboardings:
Die Sonnenseite: wenn Mitarbeitende kündigen
Laut Anna sind das die „angenehmen“ Arten von Personalabgängern, diejenigen die das Unternehmen verlassen, und dabei fröhlich zurückblicken oder sich sehr auf ihr nächstes Abenteuer freuen. „Vielleicht haben sie woanders ein besseres Angebot erhalten, haben beschlossen, dass es der richtige Zeitpunkt für eine neue Herausforderung ist, oder aber sie möchten ihre berufliche Laufbahn grundlegend ändern. In diesen Fällen ist es empfehlenswert, sich auf die positiven Highlights ihrer Zeit im Unternehmen zu konzentrieren und sicherzustellen, dass sie mit dem Netzwerk in Kontakt bleiben.“
Denn ja, es gibt sie, die sogenannten Boomerang-Mitarbeitenden, die in Zukunft vielleicht gerne wieder in das Unternehmen zurückkehren möchten.
Die Schattenseite: wenn Mitarbeitende entlassen werden
Es kommt nicht überraschend, dass Anna die Entlassung von Teammitgliedern als „die Schattenseite“ des Offboarding bezeichnet. In diesem Fall ist Mitgefühl der Schlüssel.
„Natürlich gibt es manchmal leistungsbezogene oder andere nachvollziehbare Gründe, bei denen ein fester Prozess vorausgegangen ist und welche somit verständlicher sind, aber Massenentlassungen sind einfach furchtbar. Ich habe das erst Anfang des Jahres erlebt – wir hatten gerade 50 neue Teammitglieder eingestellt, und nur sechs Monate später musste ich 25 von ihnen wieder entlassen.“
In diesen Fällen rät Anna, sehr deutlich zu machen, dass die Entlassungsgründe nicht persönlicher Natur sind, sondern vielmehr in den gestiegenen Arbeitskosten, der Überschreitung von Personalprognosen oder der Verlangsamung des Geschäftsvolumens begründet liegen.
Sie bietet zudem gerne Unterstützung bei der Vermittlung von Lebensläufen an ihr persönliches Netzwerk an oder motiviert Führungsteams dazu, Empfehlungen für andere Stellen auszusprechen, außerdem hält sie den Kontakt der Ex-Mitarbeitenden zum Alumni-Netzwerk aufrecht, damit sich in der Zukunft möglicherweise Türen öffnen.
Die Gewitterseite: wenn Mitarbeitende verärgert sind
Die dritte Kategorie lautet „die Gewitterseite des Offboarding“. Gründe für die Unzufriedenheit eines Arbeitnehmenden können unter anderem generelle Beschwerden über das Unternehmen oder den Vorgesetzten oder das Nichtberücksichtigen bei einer Beförderung sein.
„Während meiner langjährigen Tätigkeit in dem Beruf habe ich feststellen müssen, dass das Abschiedsgespräch für viele Mitarbeitende, die sich entschlossen haben, das Unternehmen zu verlassen, wie „eine letzte Abrechnung“ ist. Doch jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um zu widersprechen, Forderungen zu stellen oder zu korrigieren. Lassen Sie den Mitarbeitenden ausreden, denn es könnte dessen erste und einzige Chance sein, endlich mal die eigene Meinung auszusprechen, ohne Angst vor Konsequenzen zu haben.“
An dieser Stelle kommt der Diplomat/Therapeut ins Spiel, da es jetzt gilt, durch Zuhören zu bestärken, ohne zu hinterfragen, nicht zuletzt, weil unzureichendes Zuhören in dieser Phase dazu führen könnte, dass negative Kritik auf öffentlichen Stellenbewertungsplattformen wie Glassdoor veröffentlicht wird.
Anna: „Ich versuche, zuzuhören und den Betroffenen das Gefühl zu geben, dass sie gehört werden. Denn jetzt ist nicht die Zeit, um die eigene Position zu vertreten oder Ausreden zu finden. Das Schiff hat bereits abgelegt.“